Wie unsere Kolleg*innen gefolterten Menschen helfen

Immer wieder haben unsere Kolleg*innen mit traumatisierten Menschen zu tun. Manchmal gehen diese Traumata auf Folter-Erfahrungen zurück. Um die betroffenen Klient*innen zu unterstützen, ist die Vernetzung zwischen unseren Geschäftsbereichen hilfreich. 

Der Mann schüttelt den Kopf. Jede Frage, die er bekommt, quittiert er mit einem Kopfschütteln, manchmal grinst er. Der Richter ist irritiert und verärgert: Er glaubt, der Mann würde das Gericht nicht ernst nehmen.  Dabei handelt der Mann nicht respektlos. Vielmehr ist sein Verhalten einem Trauma geschuldet, das entstanden ist, weil er gefoltert wurde.

Folter ist völkerrechtlich verboten. Und dennoch findet sie statt, in verschiedenen Formen, psychisch oder physisch. Die einzige Gemeinsamkeit: Sie ist grausam, erniedrigend und unmenschlich. Nicht nur in den Herkunftsländern, auch während der Flucht können Menschen gefoltert werden.

Geringes Therapieangebot

Der Umgang damit ist von Person zu Person unterschiedlich. “Manche Menschen verdrängen es, andere reden aus Angst nicht darüber, weil sie Niemanden in Gefahr bringen wollen. Andere wiederum sprechen in seltsamer Weise darüber. Etwa indem sie davon erzählen und dabei lachen – als eine Form der Verarbeitung”, sagt Nadzeya H.* von der Betreuungseinrichtung Traiskirchen.

Sie hat 2014 eine Masterarbeit über die Situation gefolterter und traumatisierter Frauen in Österreich geschrieben. “Dafür habe ich 13 qualitative Interviews geführt und sowohl mit den Opfern als auch Expert*innen auf dem Gebiet gesprochen. Was bereits damals offensichtlich war: Das Therapieangebot ist gering und die wenigsten Therapeut*innen sind darauf spezialisiert.“ Daran hat sich wenig geändert.

Zum Glück hilft und unterstützt das NIPE Netzwerk, ein Zusammenschluss von Therapie-Einrichtungen, unsere Kolleg*innen. Dieses Netzwerk beinhaltet mehrere Organisationen, die traumaspezifische interkulturelle Psychotherapie anbieten. Zum Netzwerk gehören u. a. HEMAYATZEBRA, ODEM – Caritas Vorarlberg, Sotiria (Sbg) oder Jefira (NÖ).

Mit diesem Netzwerk sind neben den Kolleg*innen aus den Betreuungseinrichtungen auch unsere Rechtsberater*innen in engem Austausch – vor allem jene, die eine Focal Point Schulung dazu absolviert haben. Focal Point Schulungen sind spezielle Weiterbildungsangebote zu einem bestimmten Schwerpunktthema, wie „Trauma/Handlungsfähigkeit“, „Frauen und Kinder“ oder „unbegleitete minderjährige Jugendliche“. Focal Points sind also zusätzlich Expert*innen eines gewissen Themenbereichs.

Anfang Sommer fand ein Treffen zwischen ihnen und dem NIPE Netzwerk und den Rechtsberater*innen statt. “Dabei konnten wir den Therapeut*innen unsere Arbeit und damit verbundene Anforderungen und Anliegen verdeutlichen.

Denn für uns in der Rechtsberatung ist die Thematik äußerst wichtig: Erfolgte Folterhandlungen sind in der Regel als Hinweise anzuerkennen, dass vergleichbare, schwere Gewalt oder eben Folter im Fall einer Rückkehr ins Herkunftsland abermals befürchtet werden muss. Es spielt also eine bedeutende Rolle, wenn jemand im Asyl-Verfahren vorbringt, Opfer von Folter geworden zu sein“, sagt Rechtsberaterin Marie-Luise M. Der erste Schritt ist, dass die/der Klient*in bereit ist, darüber zu sprechen. Um die Sensibilität dafür zu stärken, hat der Geschäftsbereich Rechtsberatung die Focal Points Ausbildung zu diesem Thema gestartet.

Scham und Angst

Nicht immer erzählen die Klient*innen darüber, sondern unsere Kolleg*innen werden aufmerksam. Das wissen auch unsere Kolleg*innen in den Betreuungseinrichtungen. Nadzeya erzählt: “Wenn eine Person völlig zurückgezogen ist und an nichts teilnimmt, Herzrasen hat, nicht schlafen kann oder sich in anderer Weise eine traumatische Belastungsstörung zeigt, gehen wir dem nach. Wobei wir sehr vorsichtig sein müssen.” Scham oder Angst, dass zum Beispiel die Familie von Misshandlungen erfährt, hindert Menschen daran, Folter bzw. Misshandlungen vorzubringen.

Empathie, Verständnis und Feingefühl sind daher bei den Betreuer*innen als auch den Psycholog*innen in unseren Betreuungseinrichtungen gefragt. Eine dieser Psycholog*innen ist Valentina F. vom Team der Grundversorgung.

So etwa im Fall eines jungen Irakers: “Als Atheist wurde er in seinem Heimatland gefoltert. Seine Narben waren sichtbar, kognitiv war er zum Glück nur leicht beeinträchtigt“, erzählt Valentina. Während seiner Flucht verbrachte er mehrere Jahre in Griechenland und danach in Rumänien, wo ihn die Mitbewohner seiner Unterkunft attackierten.

Schließlich kam er nach Österreich und wurde in der damals noch geöffneten BBE Villach beherbergt. “Er war depressiv, litt an intrusiven (aufdringlich, unerwünscht, störend) Gedanken und Erinnerungen an dem Trauma, und es war klar, dass er nicht rauskommt“, sagt Valentina.

Rechtsberater Christian P., ebenfalls ein Focal Point „Trauma & Handlungsfähigkeit“, beriet den Klienten direkt in der Betreuungseinrichtung. Der Mann erhielt einen negativen Bescheid und bei Bedarf holen Rechtsberater*innen eine Stellungnahme aus der Betreuung ein. Valentina verfasste einen Kurzbericht über den Zustand des Klienten. Daraufhin bestellte das BFA eine PSY IIII Begutachtung**. Obwohl der Klient Symptome einer schweren Traumatisierung zeigte, stellte der psychiatrische Gutachter nur eine Anpassungsstörung fest.

Aufwand lohnte sich
Da die Diagnose aufgrund der Symptome des Klienten nicht nachvollziehbar erschien, holte Christian ein kostenloses Gegengutachten eines Gerichtssachverständigen ein. Der Einsatz hat sich gelohnt: Der Mann wurde nicht per Dublin-Verfahren nach Rumänien überstellt und erhielt Asyl in Österreich.

Rechtsberater Christian P.

“Das war einer meiner härtesten, aber gleichzeitig schönsten Fälle. Dabei war die Vernetzung extrem wichtig."

Befunde, Gutachten oder Berichte von Ärzt*innen, Psycholog*innen oder Therapeut*innen sind wichtige Beweise. Das Problem: Die Wartezeiten sind lang und es gibt wenig Spezialist*innen auf dem Gebiet, die kostenfrei diagnostizieren. Oft dauert es Monate, bis ein Bericht des Krankenhauses erfolgt. Die Lage ist auch in jedem Bundesland anders. In Wien bietet beispielsweise HEMAYAT dolmetschgestützte, traumatherapeutische Betreuung und Behandlung für Folter- und Kriegsüberlebende an. In anderen Bundesländern gibt es kaum oder keine Spezialist*innen. Eine weitere Schwierigkeit betrifft die psychiatrischen Gutachter*innen vor Gericht. Auch von ihnen gibt es zu wenige und die Expertise auf dem Gebiet ist spärlich.

Wichtig ist daher, vor Gericht genaue Stellungnahmen und Gutachten vorzuweisen. “Bei dem Treffen mit dem NIPE-Netzwerk konnten wir konkretisieren, was wir voneinander brauchen oder vor welchen Problemen wir stehen“, sagt Marie Luise. “Für uns war es wichtig zu wissen, an welche Therapeut*innen wir uns wenden können.

Und die Therapeut*innen haben erfahren, wie ihre Gutachten und Stellungnahmen aussehen sollen, damit sie in der Verhandlung berücksichtigt werden. Und es war gut, dass Kolleg*innen von der Grundversorgung mit an Bord waren, um ihre Expertise mitzunehmen. So wissen wir, wie wir einander unterstützen können.”

*Unsere Mitarbeiter*innen sind in einem gesellschaftspolitisch hochsensiblen Bereich tätig. Um sie bestmöglich zu schützen, veröffentlichen wir nicht ihren vollständigen Namen.

* Psy III bezeichnet ein Weiterbildungsdiplom für Ärzt*innen. Sie erlangen dadurch psychotherapeutische Kompetenzen und dürfen psychotherapeutische Medizin im Rahmen ihrer ärztlichen Tätigkeit ausüben. Das BFA kann eine Psy3-Evaulierung durch psychiatrische Gutachter*innen erstellen lassen.
Credit: Canva

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