Seit Kurzem müssen unsere Klient*innen Grundregelkurse verpflichtend besuchen. Wir haben uns umgehört, wie unsere Kolleg*innen diese abhalten und unsere Klient*innen sie annehmen.
Freizeitbetreuerin Midia W. aus der Betreuungseinrichtung Traiskirchen begrüßt ihren Kollegen, sie streckt ihm die Hand entgegen. Eine kleine Geste, die in Österreich selbstverständlich ist – sofern keine Pandemie ihr Unwesen treibt. In anderen Kulturen ist das Händeschütteln zwischen Frau und Mann aber undenkbar. Selbst der Blickkontakt wird nicht überall als angemessen empfunden.
Eine andere Kultur, Gewohnheiten, Traditionen und Bräuche anzunehmen ist nicht einfach – und noch schwieriger ist es, sie im eigenen Leben zu integrieren und umzusetzen. Um überhaupt so weit zu kommen, muss man allerdings zumindest wissen, welche es gibt.
„Die Mitarbeiter*innen in unseren Betreuungseinrichtungen bringen den geflüchteten Menschen die österreichische Kultur und die österreichischen Werte näher. Dadurch finden die Menschen sich in unserem Land besser zurecht. Das fördert das gegenseitige Verständnis, denn man kann nur respektieren, was man kennt.“
Andreas Achrainer, BBU-Geschäftsführer
Grundregelkurse zu fünf Themenkreisen
Die neuen Grundregelkurse in unseren Betreuungseinrichtungen sind eine Möglichkeit dafür. Sie sind für unsere Klient*innen seit Ende Juni verpflichtend vorgeschrieben. In rund 90-minütigen Einheiten werden fünf Themenkreise besprochen:
In der Betreuungseinrichtung (BBE) Semmering haben die ersten Kurse rund um “Kultur und Umgangsformen” stattgefunden. “Die Klient*innen haben es sehr positiv aufgenommen und sich sogar bedankt“, sagt Gabriele H., Betreuungs- und Versorgungsleiterin der BBE Semmering. “Für die Leute war es hilfreich. Wir haben auch eigene Beispiele eingebaut. Eine Kollegin hat zum Beispiel erzählt, dass ihre Großmutter früher immer ein Kopftuch getragen hat, es aber jetzt nicht mehr üblich ist.“
Austausch statt Vortrag
Michael W., Psychologe der BBE Semmering, war ebenfalls bei einem Kurs dabei. “Wir haben eine sehr gut ausgearbeitete Präsentation aus unserer Zentrale, die wir ergänzt haben. Ein farsi-sprechender Mitarbeiter der EUAA hat uns unterstützt. So kamen ein Gespräch und ein Austausch mit den Klient*innen zustande. Das nehmen die Leute anders auf und an als einen Vortrag, bei dem informiert wird, wie es zu sein hat.“
Kooperation mit ÖIF
Die BBU ist für den Inhalt der Kurse verantwortlich. Dafür kooperieren wir mit dem Österreichischen Integrationsfonds (ÖIF). Die Organisation verfügt über eine langjährige Erfahrung in der Vermittlung von Werte- und Orientierungswissen. “Wir mussten es zwar strukturell und methodisch an unsere Bedürfnisse anpassen, konnten jedoch darauf aufbauen und anhand dessen ein Handbuch erstellen. Die Kurse über Rechte und Pflichten sowie Sensibilisierung gegenüber Antisemitismus haben wir neu entwickelt“, erklärt Michael F. von der Geschäftsbereichsleitung der Grundversorgung (GVS). Für Ersteres arbeitet die GVS auch mit der Unabhängigen Rechtsberatung (URB) zusammen.
Der erste Teil der Kurse über Kultur und Umgangsformen hat bereits in den BBE gestartet. “Wir beschränken uns auf die Basics, um die Klient*innen nicht gleich zu überfordern – also Begrüßung, Augenkontakt, Entschuldigen. Bei all dem sind unsere Kolleg*innen herzlich eingeladen, eigene Themen und Beispiele einzubringen“, sagt Michael F. Er stellt klar, dass Feedback und Vorschläge willkommen sind. “Das ist ganz wichtig, damit wir es anpassen und weiterentwickeln können.”
Eine besondere Gruppe hinsichtlich der neuen Kurse sind die unbegleiteten minderjährigen Jugendlichen, wie jene in der BBE Korneuburg. Der stellvertretende Einrichtungsleiter Mariwan H. hat bereits Kurse durchgeführt. “Dass die Kurse verpflichtend sind, hat die Jugendlichen zu Beginn nicht begeistert.” Wie bei anderen Angeboten und Programmen gilt es, die Jugendlichen zu motivieren. Mariwan und seine Kolleg*innen versuchen, ihnen den Inhalt der Grundregelkurse zu vermitteln und nahezubringen, dass sie davon auch profitieren.
Wichtiger Schritt
Durch die Inputs der Kolleg*innen wird der Inhalt klarer und authentischer. “Wir bringen den Menschen die österreichische Kultur, Bräuche und Traditionen näher, anstatt sie ihnen überzustülpen und aufzuzwingen. Was sie daraus machen, können wir nicht beeinflussen”, sagt Michael W. “Es ist ein erster wichtiger Schritt für die Menschen, die in Österreich gelandet sind, um sich zurechtzufinden.“